Die Weichen für ein Künstlerleben wurden bei Ruan Weng-mong schon recht früh gestellt. Sein Vater, ein Beamter im Bezirksamt Shihlin im Norden von Taipei, war ein begeisterter Hobbymaler und legte großen Wert darauf, daß der kleine Weng-mong und die anderen drei Kinder Musik- und Kunstunterricht erhielten. Ruan Weng-mong lernte Saxophon spielen und bekam von seinem Vater die Grundbegriffe des Malens vermittelt. "Mein Vater meinte immer, wer malen kann, soll malen", erinnert sich Ruan. "Er zeigte mir selbst, was Punkt, Strich und Schattierungen bedeuten." Kein Wunder, daß Ruan Weng-mong schon als Kind Künstler werden wollte.
Das Erziehungswerk der Eltern fiel auch bei Ruans Geschwistern auf fruchtbaren Boden. Der älteste Bruder gewann als Schulkind viele Malwettbewerbe in der Schule. Ruans Schwester studierte an der Pädagogischen Hochschule in Taipei Bildende Kunst, wanderte vor zehn Jahren in die USA aus und lebt heute als freischaffende Künstlerin in New York. Der jüngste Bruder ist zwar kein Künstler, muß aber als selbständiger Architekt auch viel zeichnen.
Bei aller Förderung vergaß Ruans Vater jedoch nicht die praktische Seite des Lebens. "Mein Vater sagte auch, als Künstler könne man nur schwer überleben und wenig Geld verdienen", erzählt Ruan. Die Entschlossenheit des Filius konnte diese Warnung indes nicht erschüttern, und im Herbst 1973 begann Ruan Weng-mong ein Bildhauerstudium an der Nationalen Kunstakademie Taiwan in Panchiao, einem Vorort im Westen von Taipei.
Daß Ruan in der Skulpturabteilung der Kunstakademie landete, war ein durch Taiwans Aufnahmeprüfungssystem bedingter Zufall, den Ruan aber nie bedauerte. " Ich bin ein sehr neugieriger Mensch", verrät Ruan. "Mit dem Zeichnen kannte ich mich damals ja schon ganz gut aus. Die Bildhauerei war dagegen etwas Neues, und das reizte mich." An der Kunstakademie bekam er die Kenntnisse und Fertigkeiten der wichtigsten Bildhauerdisziplinen verpaßt: Arbeit mit Ton, Holz und Stein. Daneben gehörten natürlich auch noch Formzeichnen, Aquarellmalen, Aktstudien und anderes zu den Pflichtfächern.
Durch das Studium an der Bildhauerabteilung bekam Ruan ein Gefühl für dreidimensionale Kunst, das sein späteres künstlerisches Schaffen beeinflussen sollte. Im letzten Studienjahr begann er überdies, Metall zu schweißen. Damals gab es in der Bildhauerabteilung der Kunstakademie in Panchiao noch gar keinen Zweig für Metallkunst, deren Bedeutung man erst allmählich entdeckte. Mit seinen Experimenten markierte Ruan die Anfänge des heute fest etablierten Metallzweiges der Bildhauerabteilung in Panchiao.
Im Frühjahr 1976 schloß Ruan sein Studium mit einem Diplom ab. Kurz nach dem Examen bot sich ihm die Chance, im Auftrag des Wirtschaftsministeriums der Republik China als Lehrer an die Handwerksmission in Swasiland geschickt zu werden. Da Ruan wegen Untergewichts nicht zur Armee mußte, konnte er diese Gelegenheit wahrnehmen und hielt sich bis Juli 1978 in Afrika auf.
An der Handwerksmission der Republik China in Swasiland erteilte Ruan Unterricht in Holzschnitzen und Zeichnen. Er fuhr einen Dienstwagen mit "CD"-Kennzeichen, weil er in diplomatischem Auftrag dort war. "Eigentlich war ich zu jung", gibt Ruan zu. "Alle anderen im diplomatischen Dienst waren schon über dreißig, ich dagegen erst 23." Doch die Aufgabe machte ihm Spaß, und bis heute betrachtet er seine Zeit in Afrika als seine Goldene Zeit.
Für sich selbst nutzte Ruan den Afrikaaufenthalt auch zur Weiterbildung: Er erlernte dort das Edelsteinschleifen. Schon vor der Abreise hatte die Lektüre eines von Chang Hsin-hsia verfaßten Buches über Edelsteine sein Interesse erregt, und in Swasiland konnte er seine theoretischen Kenntnisse durch tägliches Edelsteinschleifen praktisch erweitern.
Nach der Rückkehr nach Taiwan 1978 arbeitete Ruan zunächst ein Semester lang als Zeichenlehrer an einer privaten Mittelschule in Taipei, doch bald wurde ihm klar, daß die Jahre in Afrika sein Leben verändert hatten. "Das war auch kein Wunder", begründet er. "In Swasiland gab es damals kaum Zivilisation. Man lebte in der Natur, und die Luft war herrlich. Danach konnte ich nicht mehr in Taipei leben -- dort war es so laut und so eng!" Da entstand der Wunsch, aus Taiwan wegzugehen, und im März 1979 bestieg Ruan Weng-mong ein Flugzeug nach Frankfurt am Main.
Die Entscheidung für Deutschland kam nicht von ungefähr. Noch in Swasiland hatte Ruan eine in seiner Nachbarschaft wohnende Familie aus Nürnberg kennengelernt. Familie Sittl war in der Gastronomie tätig und zog alle paar Jahre zum Arbeiten in ein anderes Land. Nach seiner Rückkehr nach Taiwan hielt Ruan weiterhin Briefkontakt mit der Familie. In Taiwan erkannte er bald, daß er in seiner Heimat nicht mehr viel würde lernen können. Er hatte aber auch keine Lust, in Taiwan einfach nur brav irgendeiner Arbeit nachzugehen, sondern wollte noch mehr lernen. Familie Sittl ermutigte ihn, nach Deutschland zu kommen, und half ihm auch bei den Vorbereitungen zur Einreise.
“Wasser und Felsklippen”. Aluminiumlegierung, 18x18x15 cm.
Konkrete Pläne hatte Ruan damals noch keine. Entsprechend schwer war der Anfang: Er konnte kein Deutsch, hatte keinen Ausbildungsplatz und wußte noch nicht einmal genau, was er eigentlich machen wollte. "Der Anfang in Deutschland war die Hölle", zieht Ruan Bilanz. "Ich hatte keine Ahnung, daß es so schwer sein würde. Zuerst wollte ich an die Kunstakademie, aber das konnte ich vergessen." Die Gewöhnung ans deutsche Essen war bei weitem nicht so beschwerlich. Er verzichtete bewußt auf chinesische Kost und kaufte, weil er Käse nicht kannte, im Kaufhaus das halbe Kühlregal leer und probierte alle Sorten durch.
Eine Arbeitserlaubnis hatte Ruan nicht, und einmal im Monat mußte er bei der Ausländerbehörde zur Verlängerung seines Touristenvisums antreten. Glücklicherweise hatte er noch die Unterstützung der Familie Sittl, mit deren Tochter Manuela er mittlerweile liiert war. Nachdem das junge Paar im August 1980 geheiratet hatte, konnte Ruan mit etwas mehr Ruhe über seine Zukunft nachdenken. Zwei Berufswege reizten ihn besonders: Modedesigner und Goldschmied. Die beiden Zentren für Modedesign waren damals Düsseldorf und München. Während Ruan noch darüber nachgrübelte, ob er es dort versuchen solle, las er in der Zeitung eine Annonce der Goldschmiedemeisterin Monika Wächtler aus Eckental bei Nürnberg, die einen Gehilfen suchte.
Eine Lehrstelle als Goldschmied war damals schon für Deutsche nur schwer zu ergattern: Die Wartezeit betrug im Schnitt drei Jahre. Ruan machte sich denn auch keine Illusionen über seine Chancen auf eine Goldschmiedelehrstelle. Weil er in der inserierten Gehilfenstelle die Chance witterte, in den Beruf hineinzukommen, meldete er sich kurzentschlossen auf die Annonce und wurde genommen.
Bevor Ruan die Stelle antrat, jettete er für drei Monate nach Taiwan und machte in Shihlin ein Goldschmiedepraktikum, um die in dem Handwerk grundlegenden Techniken wie Feilen, Sägen und Schweißen von kleinen Metallgegenständen kennenzulernen. Da er damals noch nicht gut genug Deutsch konnte, schien ihm dieses Praktikum der schnellste Weg zu sein, die Grundlagen dieses Handwerks zu erlernen.
Ruan Weng-mong arbeitete zunächst ein Jahr als Gehilfe für Wächtler. Er erhielt dort keine Ausbildung, sondern führte nur die Anweisungen der Meisterin aus, wobei er in der Werkstatt natürlich immer die Augen offen hielt. Die Zeit war kein Honiglecken: Jeden Morgen mußte er in Nürnberg um fünf Uhr aufstehen und machte sich dann mit dem Bus und per Pedes in die 40 km entfernte Kleinstadt Eckental auf.
Doch die Mühsal blieb nicht ohne Lohn. Wegen Ruans ausgezeichneter Arbeitsleistung vermittelte Monika Wächtler, die damals das Amt der Obermeisterin der Goldschmiedeinnung Mittelfranken bekleidete, ihrem Gehilfen im Jahre 1981 eine Lehrstelle bei dem Nürnberger Goldschmiedemeister Klaus H. Gessner. Außerdem fuhr sie mit Ruan nach Schwäbisch Gmünd in eine Werkzeughandlung und kaufte ihm Werkzeug für 2000 DM. "Das war für mich damals sehr viel Geld, und ich bin ihr dafür bis heute dankbar", sagt er. "Außerdem hatte sie mir die Lehrstelle vermittelt, da war für mich das Leben in Ordnung."
Von 1981 bis 1984 absolvierte Ruan Weng-mong eine reguläre Goldschmiedelehre mit Berufsschulbesuch und meisterte in dieser Zeit auch die deutsche Sprache. Die Grundlage dafür hatte er schon in seiner Gehilfenzeit in Eckental gelegt, als er morgens im Bus jeden Tag dreißig neue Wörter paukte und mit der Zeit so das ganze Wörterbuch auswendig lernte. Regulären Sprachunterricht hatte Ruan dagegen nie. Seine Schwiegermutter Ursula Sittl half ihm viel, und abends sah er sich im Fernsehen gern Berichte von Bundestagsdebatten an. "Die CDU/CSU war damals noch in der Opposition, und es gab einmalige Wortgefechte zwischen Herbert Wehner und Franz Josef Strauß", schmunzelt Ruan. Nach einem Jahr konnte er so gut Deutsch, daß er bei Streit mit Deutschen nur noch selten den Kürzeren zog. Auf der Berufsschule lernte er zudem alle für seinen Beruf nötigen Fachausdrücke.
Im Februar 1984 bestand Ruan mit glänzenden Noten seine Gesellenprüfung und arbeitete anschließend bei mehreren Meistern in Frankfurt am Main und Nürnberg, darunter auch zwei Jahre bei Meister Hans Schott, dem damals bekanntesten Juwelier in Nürnberg. Eine gute Stelle zu finden war für Ruan mittlerweile nicht mehr besonders schwierig, denn sein Lebenslauf und seine exzellenten Zeugnisse bewiesen seine hervorragende Qualifikation.
Mit dem Erwerb des Gesellenbriefs war Ruans Wissensdurst noch lange nicht gestillt. 1987 studierte er als Gastschüler an der Zeichenakademie Hanau und besuchte dort Seminare über Edelsteinfassen und Gravur, und im gleichen Jahr ließ er sich in Idar-Oberstein zum Gemmologen ausbilden -- Ruan wurde damit das erste taiwanesische Mitglied der Deutschen Gemmologischen Gesellschaft. Ebenfalls 1987 begann Ruan, mittlerweile deutscher Staatsbürger, mit dem Besuch der Meisterschule in Würzburg und wurde Mitglied der Deutschen Goldschmiede-Innung.
Das Jahr 1987 markierte aber auch den Beginn einer persönlichen Krise, weil sich die Beziehung mit seiner Frau verschlechtert hatte. Das Paar trennte sich, und im folgenden Jahr wurde die kinderlose Ehe geschieden. Wegen der persönlichen Probleme stellte Ruan nach Bestehen aller Prüfungen an der Meisterschule sein Meisterstück nur mit Verspätung fertig und wurde im Juli 1988 Goldschmiedemeister.
Der frischgebackene Meister wurde von dem bekannten Fürther Juwelier Robert Kuhnle mit der Leitung der Werkstatt betraut. Ruan blieb bis zum Sommer 1991 bei Kuhnle und bewies in dieser Zeit, daß er mehr war als ein gewöhnlicher Handwerker: Gelegentlich regte sich seine künstlerische Ader. Im April 1991 nahm er an dem ersten deutschen Diamantschmuckwettbewerb teil, den der größte Diamantenproduzent und -händler der Welt, De Beers in London, ausgeschrieben hatte. Ruan entwarf ein Collier aus Gelb- und Weißgold mit einem einkarätigen Brillanten in der Mitte und realisierte es gemeinsam mit Kuhnle. Gegen die Konkurrenz von 150 Spitzenjuwelieren aus der ganzen Bundesrepublik errang Ruan einen "Oscar" für besonderes Atelierdesign.
Ein Jahr nach dem Sieg bei dem Schmuckwettbewerb wagte Ruan in Nürnberg den Schritt in die Selbständigkeit. Der Handwerksmeister mit dem Künstlerblut eröffnete jedoch kein Juweliergeschäft, sondern ein Schmuckdesignbüro und Atelier mit dem Namen "Schmuck und Objekte". Der Zeitschrift des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks DH-report erklärte er im Juni 1994 zur Begründung in einem Interview: "Wenn ich von morgens bis abends im Geschäft stehen müßte, wäre ich zeitlich zu sehr gebunden. Ich bevorzuge eine flexible, freie Zeit."
In zwölf Jahren hatte Ruan in Deutschland schon eine Menge erreicht: Vom ungelernten Gehilfen arbeitete er sich zum selbständigen Goldschmiedemeister hoch. Doch Ende 1992 setzte er noch einen drauf: Als die Obermeisterin der Mittelfränkischen Goldschmiedeinnung Monika Wächtler ihr Amt aus Gesundheitsgründen niederlegte, schlug sie ihren früheren Gehilfen Ruan als Nachfolger vor. " Ich war im Handwerk ziemlich bekannt, weil ich immer gute Leistungen erbracht hatte, und natürlich weil ich ein Ausländer war", berichtet er. "Da sie mich schon seit zehn Jahren kannten, waren alle einverstanden." Auch sein Lehrherr Gessner unterstützte Ruans Kandidatur: "Er hat bei mir gelernt, und die Wahl fiel auf ihn, weil er in seinem Fach zu den Besten gehört." Die Wahl zum Obermeister erfolgte ohne Gegenstimme, und Ruan übte das Amt bis 1995 aus -- übrigens der erste ausländische Obermeister in Mittelfranken seit 500 Jahren.
Hat Ruan in Deutschland Ausländerfeindlichkeit zu spüren bekommen? "Ich habe das viel weniger gemerkt als meine chinesischen Landsleute, die in der Gastronomie tätig waren", findet er. "Schließlich lebte ich in einer deutschen Familie und beherrschte die deutsche Sprache, so daß man mich sozusagen schon fast wie einen Deutschen betrachtete. Die Leute konnten sehen, daß sie mit mir kommunizieren konnten, und das beseitigte die Barrieren." Gleichwohl ist sich Ruan bewußt, daß er mit seinem guten Leben als Ausländer in Deutschland wohl eher zu einer Minderheit gehört -- vielen anderen Ausländern geht es in Deutschland nicht so gut. Auf der anderen Seite gibt Ruan zu bedenken: "Rassismus gibt es auch in Taiwan, wenn auch eher weniger gegen westliche Ausländer. Manche Gastarbeiter aus Thailand und Indonesien leben in Taiwan auch nicht besser als viele Türken in Deutschland."
Sich selbst sieht Ruan trotz seiner Herkunft heute als Deutschen, als Europäer. "Das ist doch irgendwie auch natürlich", glaubt er. "Ich bin zwar in Taiwan geboren und habe hier bis zum 23. Lebensjahr gelebt, aber bewußt sind mir davon nur zehn oder fünfzehn Jahre, denn als Kleinkind lebt man ja nicht bewußt. Ich spreche Chinesisch und Taiwanesisch und liebe meine Heimat auch, aber ich denke eher wie ein Deutscher -- schließlich habe ich 16 Jahre dort gelebt. In Deutschland fühle ich mich auch viel wohler als in Taiwan." Das merken auch seine Verwandten in Taiwan. "Wenn mein Bruder mich sieht, sagt er immer, da kommt der Deutsche!", lächelt Ruan. Viele seiner in Deutschland erworbenen Gewohnheiten hat er auch in Taiwan behalten, beispielsweise seine systematische, durchdachte Arbeitsweise und seine Pünktlichkeit.
Natürlich gibt es auch Dinge, die ihn an Deutschland stören. "Zuerst einmal sind die Deutschen zu ernst", kritisiert Ruan. "Sie können nicht einfach so locker leben. Man muß sich immer sehr korrekt kleiden und kann -- anders als in Taiwan -- nicht einfach mit offenem Hemd und Sandalen herumlaufen. Immer muß man aufpassen und sehr höflich sprechen. Das Leben ist nicht so leger wie in Taiwan." Auch gibt es in Deutschland viel mehr Papierkram und Bürokratie als in Taiwan, wo die Regierung seiner Meinung nach den Menschen viel Freiheit läßt.
Im Juni 1995 kehrte Ruan Weng-mong nach Taiwan zurück, vor allem aus privaten Gründen: Bei einem Aufenthalt in Taiwan Anfang der neunziger Jahre hatte er die Taiwanesin Candy Liang kennengelernt und im Januar 1994 in Deutschland geehelicht. Doch seine Frau, die dann ein Kind erwartete, fühlte sich in Deutschland nicht wohl und sehnte sich nach Taiwan. Außerdem hatte sich die Gesundheit seiner Mutter verschlechtert, und seine Brüder baten ihn, zurückzukommen und ein paar Jahre mit der Mutter zu leben. In Deutschland war die Wirtschaftslage gespannt, und die Funktion als Obermeister der Innung füllte ihn auch nicht mehr so recht aus. Nach reiflicher Überlegung kam Ruan daher zu dem Schluß, daß es das Beste sei, den Wunsch seiner Frau und seiner Brüder zu erfüllen.
Die Wiedereingewöhnung in Taiwan fiel Ruan sehr schwer, und er brauchte dafür viel Zeit. "Ich war an die kalte Luft in Deutschland gewöhnt und fand das schwüle und heiße Klima in Taiwan tödlich", blickt Ruan zurück. "In der ersten Zeit habe ich absolut nichts gemacht, ich habe nur dagesessen und konnte eigentlich gar nicht begreifen, daß ich wieder in Taiwan war." Er war gründlich aus der Bahn geworfen und fing sich erst über ein Jahr nach der Rückkehr.
1997 fing er wieder an zu arbeiten: Im September übernahm er einen Lehrauftrag an der Abteilung für Angewandte Künste der Fu Jen Catholic University in Hsinchuang (Kreis Taipei). "Das ist keine leichte Arbeit, weil den Studenten eine gute Grundausbildung fehlt", erklärt Ruan, der an der Uni vor allem praktischen Unterricht in Metallbearbeitung erteilt, da für theoretischen Unterricht die Zeit fehlt. "Viele Studenten müssen nach dem Unterricht noch in meine Werkstatt kommen, um dort ihre Werke fertigzustellen."
Vom handwerklichen Standard Deutschlands ist Taiwan qualitativ noch Lichtjahre entfernt. "Solche Dinge wie in Deutschland kann man in Taiwan heute noch nicht lernen", bedauert Ruan. "Ein duales System aus Lehre und Berufsschule gibt es in Taiwan nicht. Die Regierung wollte das zwar einführen, aber es hat nicht funktioniert." Das ist auch der Grund dafür, daß es in Taiwan weder eine nennenswerte Goldschmiedekunst noch eine entsprechende Ausbildung gibt. Ruan bildet zwar bei sich einige wenige Lehrlinge nach deutschen Regeln aus, aber außer ihm gibt es in ganz Taiwan noch nicht mal ein halbes Dutzend Leute, die das auch so gut können. "Wer wirklich was lernen möchte, der sollte ins Ausland gehen", empfiehlt Meister Ruan.
Im Januar 1997 richtete sich Ruan in Shihlin ein Atelier mit kleiner Werkstatt ein. Anders als in Deutschland liegt sein Schwerpunkt hier auf Kunst und nicht auf Handwerk. In Deutschland hatte Ruan nur kleine und mittelgroße Objekte geschaffen und nicht eine einzige Ausstellung organisiert. "Ich habe dort nur versucht, Geld zu verdienen, zu arbeiten und als Handwerker zu überleben", entschuldigt er sich. "Wenn ich viel zu tun hatte und gut verdiente, habe ich meine künstlerische Ader einfach vergessen. Das ist doch auch natürlich, schließlich hatte ich in Deutschland ja ein paar schöne Jahre." Doch nach langjähriger Berufstätigkeit wurde ihm klar, daß er eigentlich ein Künstler ist. "In Deutschland haben mir meine Kollegen immer schon gesagt, Du bist kein Handwerker, sondern ein Künstler", plaudert Ruan. Seine Kollegen meinten das nicht im geringsten negativ, weil sie wußten, daß Ruan sein Metier aus dem Effeff beherrscht, und sie bewunderten den künstlerischen Wert von Ruans Schmuckentwürfen.
Nach seiner Rückkehr nach Taiwan fielen Ruan Unterschiede zwischen der Metallkünstlerszene in Deutschland und Taiwan auf. "Die Metallkünstler in Deutschland und Taiwan haben verschiedene Arbeitsmethoden", sagt Ruan. "Die taiwanesischen Künstler schweißen in der Regel nicht selbst, sondern entwerfen ein Objekt nur und lassen es dann von Fachkräften realisieren, betrachten es aber trotzdem noch als ihr eigenes Werk. Zweitens ist in Taiwan die bevorzugte Technik das Gießen, nachdem man zuvor eine Tonfigur als Modell angefertigt hat. Die Deutschen hingegen schweißen, feilen, schleifen und polieren meistens selbst. In Deutschland muß ein Metallkünstler auf jeden Fall ein Fachmann in der Metallbearbeitung sein, in Taiwan nicht unbedingt."
In seinem Atelier in Shihlin begann Ruan mit der Schaffung von Kunstwerken auch größerer Formate. "Bei der Bearbeitung meiner großen Werkstücke lasse ich die groben Arbeiten wie Drehen, Fräsen oder Eloxieren von Metallhandwerkern erledigen, weil ich hier die entsprechenden Maschinen nicht habe", erläutert er. Die feinere Bearbeitung nimmt Ruan dann wieder selbst vor und schweißt auch selber. Ende Oktober 1997 veranstaltete er seine erste Ausstellung in der Galerie der Buchladenkette Eslite.
Mit seinen Werken will Ruan vor allem die Veränderlichkeit und Vielseitigkeit der taiwanesischen Formgestaltung ausdrücken. "Der Begriff 'taiwanesisch' ist sowieso eine Mischform und läßt sich weder ausschließlich auf die Han-Chinesen hier noch auf die Ureinwohner anwenden", postuliert er. Ruan will sich dem neuen taiwanesischen Formgefühl zuwenden und plant für September dieses Jahres eine weitere Ausstellung in der Eslite-Buchhandlung, über deren Inhalt er vorerst aber nicht mehr sagen möchte, als daß es in der Ausstellung Entwürfe und Dimensionen zu besichtigen geben wird, die man in Taiwan bisher noch nicht gesehen hat.
Welche Künstler haben Ruan bei seinem eigenen künstlerischen Werdegang besonders geprägt und beeinflußt? Ruan beantwortet die Frage erst nach kurzem Nachdenken. "Ein Künstler läßt sich eigentlich nie von nur einem Vorbild beeinflussen, sondern nur von diesem ein wenig und von jenem ein bißchen", äußert er. Zu diesen und jenen gehören beispielsweise die Bildhauer Constantin Brancusi (1876-1957, aus Rumänien) und Jean Arp (1887-1966, aus Frankreich) sowie der deutsche Bauhaus-Architekt Walter Adolph Gropius (1883-1969). Ruans Farbgefühl wurde von dem Schweizer Maler Paul Klee (1879-1940) beeinflußt, und an dem spanischen Maler Joan Miró (1893-1983) beeindrucken ihn die Formen. "Diese Künstler haben mich mit ihren Werken berührt und in dreißig Jahren auch irgendwie beeinflußt", bekennt er. "Deutlich kann ich das aber gar nicht sagen, und das ist auch ein gutes Zeichen, denn dadurch konnte ich meine eigene Identität und meinen eigenen Stil besser entwickeln." Sein Vorbild als Goldschmied ist der Franzose Peter Carl Fabergé (1846-1920), der Ende des 19. Jahrhunderts am russischen Zarenhof Hunderte von Goldschmiedearbeiten anfertigte, darunter Emailstücke mit schönen Farben, aus Metall geschnittene Tierfiguren mit feinsten Edelsteinmaterialien oder Edelmetallostereier mit den verschiedensten Motiven. "Zu seiner Zeit gab es keinen wie ihn", versichert Ruan.
Ruan bereut seine Rückkehr nach Taiwan nicht, weil er sich sonst nicht um seine immer schwächer werdende Mutter hätte kümmern können. Trotzdem ist ihm auch über zwei Jahre nach der Rückkehr sein Geburtsland fremd -- er kennt die Insel kaum. "In Deutschland kenne ich mich viel besser aus", behauptet er. "Wenn ich mit dem Auto in Deutschland, Österreich oder Holland unterwegs bin, brauche ich nie eine Karte, weil ich das Autobahnnetz und die Städte kenne. In Taiwan würde ich mich dagegen aufgrund meiner fehlenden Orientierung sofort verfahren." Obwohl er jeden Tag sehr viel arbeitet, denkt er oft an Deutschland und daran, wann er wieder "nach Hause" zurückgehen kann. " Ich habe sogar heute noch die Gerüche in der Nase, die ich riechen könnte, wenn ich jetzt in Deutschland wäre", seufzt er.
Für Ruan steht fest, daß er in zwei oder drei Jahren nach Ende der Kindergartenzeit seiner Tochter mit seiner Frau und den zwei Kindern wieder nach Deutschland zurückkehren wird. Das verzehrende Heimweh, das ihn beispielsweise beim Anschauen von Fernsehsendungen über Deutschland heimsucht und ihn manchmal sogar am Arbeiten hindert, wird dann hoffentlich ein Ende finden.